30 Tage – 30 Fotos, der Start
Na, da habe ich mir ja was vorgenommen. Einen Monat lang will ich jeden Tag losgehen und einen mir fremden Menschen fotografieren. Habe ich mir das richtig überlegt? Mal ganz abgesehen von der Zeit, die ich dafür investiere, wie frustrierend wird es sein, wenn es immer nur Absagen hagelt? Aber ich habe bereits angekündigt, dass ich das mache. Ein Rückzieher ist jetzt nicht mehr drin.
Die Regeln
Bevor ich wirklich starte, habe ich einige Regeln festgelegt, denen ich folgen will. Ich werde alle Fotos mit derselben Kamera und mit demselben Objektiv machen. Dadurch ist gewährleistet, dass der Bildeindruck bei allen fotografierten Personen ähnlich ist. Das ist mir wichtig.
Ansprechen werde ich immer nur Personen, die alleine unterwegs sind. Zum einen, weil es eine sehr direkte Begegnung zwischen dieser Person und mir werden soll. Zum anderen möchte ich, dass die Person die Entscheidung, ob sie sich fotografieren lässt, selbst trifft. Da soll niemand reinreden: “Lass das doch lieber. Wer weiß, was mit den Fotos passiert” oder “Mach ruhig, das wird schon nicht so schlimm sein”. Beides will ich nicht, die oder derjenige soll selbst entscheiden, ob ich ein Foto machen darf, oder nicht.
Dritte Regel: Ich entscheide schon aus der Ferne, wen ich anspreche und wen nicht. Ich möchte mich nicht durch ein nettes Lächeln einer Person beeinflussen lassen. Dann könnte ich schnell denken, der oder die macht bestimmt mit und das macht es mir dann einfach. Also treffe ich die Entscheidung, wen ich anspreche, aus der Ferne, wenn ich noch nicht sehen kann, ob die Person gut gelaunt ist oder vielleicht nicht. Das soll das Ganze ein bisschen objektiver machen.
Raus geht’s
Sonntag, 5. Juni. Tag eins meines Projekts. Kurz nach Mittag mache ich mich auf den Weg. Kamera schnappen und raus. Ich muss nicht lange warten. Schon nach wenigen Metern kommt mir eine Frau mit einem Kinderwagen entgegen. Das kleine Kind zählt nicht als zweite Person, denn es ist nicht alt genug, um die Entscheidung der Mutter zu beeinflussen. Mein Puls geht rauf, die Nervosität steigt. Ich spreche sie an. Erkläre, dass ich Fotograf bin, was mein Projekt ist und frage sie, ob ich sie dafür fotografieren darf. Und ich sage ihr natürlich auch, dass das Foto veröffentlicht wird. Sie hört sich alles an, ist freundlich, lehnt aber ab. Keine Zeit, leider, sie hat einen Termin. Können wir uns verabreden? fragt sie. Können wir nicht, denn das ist nicht Teil des Projekts. Ich spreche Leute an, die ich zufällig treffe. Ich verabrede mich nicht. Weiter geht’s.
Schon kurze Zeit später treffe ich einen älteren Herrn. Ich erkläre ihm mein Vorhaben und frage nach der Erlaubnis, ihn zu fotografieren. “Nein, aber danke der Nachfrage”. Sehr freundlich, aber abgesagt. Na klasse, das läuft ja.
Ich gehe weiter Richtung Innenstadt. Vor einem Café sehe ich eine junge Dame. Offensichtlich bereitet sie die Tische für die bald eintreffenden Gäste vor. Ich spreche sie an und diesmal habe ich Glück. Ich darf mein Foto machen. Im Anschluss unterhalten wir uns noch ein wenig. Ich frage sie nach ihrem Namen und nach ihren Plänen für den Tag. Ich will auch ein bisschen was über die Menschen schreiben, die ich fotografiere.
Sie muss fast den ganzen Tag arbeiten, da bleibt nicht viel Zeit für eigene Pläne. Wir verabschieden uns. Ich bin glücklich, das erste Foto ist gemacht.

Tolle Begegnungen
Von nun an mache ich mich jeden Tag auf den Weg. Und es ist klasse, richtig klasse.
Ich lerne Barbara kennen, die mit ihrem Hund die tägliche Runde macht, Akay auf seinem Mittagsspaziergang und Alisher, der vor dem Krieg aus seiner Heimat Ukraine nach Deutschland geflohen ist und nun in Herford lebt. Jürgen, der sich um die Parkautomaten in der Stadt kümmert und mit seiner Fröhlichkeit jeden ansteckt und Elvira, die viel reist und auf diesen Reisen Fotos und Videos für ihre Freunde und Freundinnen macht.
Jeden Tag eine neue spannende Begegnung mit einem mir bis dahin unbekannten Menschen. Immer ein kurzes Gespräch und immer eine interessante Geschichte. Klar, es gibt auch Absagen. Nicht jeder möchte sich fotografieren lassen. Und ganz klar, das ist auch okay. Aber auch bei den Absagen geht es freundlich zu. Warum auch nicht? Ich frage freundlich und bekomme freundliche Antworten. So soll das sein.

Die Rückmeldungen
Ich poste die Ergebnisse meiner Aktion bei Instagram und Facebook. Und hier auf diese Seite wird das als Gesamtprojekt auch noch kommen. Außerdem kommen die Fotos und die Texte in meinen WhatsApp Status.
Dann passiert etwas, womit ich nicht gerechnet habe. Von allen Seiten kommen Rückmeldungen. “Tolles Projekt, wie bist du darauf gekommen? Ich schaue mir das jeden Tag an und bin immer schon gespannt auf den nächsten Tag”. Es entstehen Gespräche, auch längere, über das Thema und die Menschen sind sehr angetan.
Wow, das hätte ich nicht gedacht und das war ja auch eigentlich gar nicht mein Plan. Umso besser, und schön, dass es so viele Menschen gibt, die sich an dem Projekt erfreuen. Die die Fotos toll finden und die kleinen Geschichten interessant. Denen geht es genauso wie mir.
Das Fazit nach einer Woche
Es ist super. Es macht einen Wahnsinns-Spaß.
Ich bin immer noch ein bisschen nervös vor jedem neuen Kontakt. Und dann treffe ich auf nette, zugewandte Menschen, die sich fotografieren lassen und mir von sich erzählen.
Wenn es nur darum ginge, zu erfahren, ob Menschen bereit sind, von einem Fremden ein Foto von sich machen zu lassen, könnte ich mein Projekt jetzt beenden. Ja, sie sind es. Wir alle sind nicht so verschlossen und zugeknöpft, wie es uns vielleicht manchmal erscheinen mag.
Aber ich werde mein Projekt nicht beenden. Ich habe noch 24 spannende Begegnungen vor mir. 24 Fotos und 24 kleine Geschichten, bei denen Menschen mich ein wenig in ihr Leben blicken lassen. Ich freue mich darauf.
